Ein bunt bemalter Totempfahl im Garten

Okt. 26, 2016     behringfilm.de   0 Comment     ,     News

Sigrid Faltins Langzeitdokumentation „Kinder! Liebe! Zukunft!“.

Dies sollte ein Film über das Glück werden. Über das Glück eines geschiedenen Vaters von vier Kindern, eine neue Lebensgefährtin gefunden zu haben. Über das Glück einer jungen allein erziehenden Mutter, mit dem geliebten Mann und fünf Kindern in Lörrach das Abenteuer einer neuen Familie zu wagen. Doch dann kam alles anders: für Kai, den 42-jährigen Arzt, für Marion, die 32-jährige Sozialpädagogin und Musiklehrerin, und für das Team um die Freiburger Dokumentarfilmerin Sigrid Faltin, das die Patchworkfamilie ein Jahr in ihrem Alltag begleiten wollte. Bei dem Mediziner wurde zwei Monate nach Drehbeginn Lungenkrebs diagnostiziert. Nach dem ersten Schock über diese tragische Wendung der Dinge entschied sich die Familie, entschied vor allem der Betroffene, die filmische Langzeitstudie fortzusetzen.

Der 90-minütige Kinofilm „Kinder! Liebe! Zukunft!“, der ab morgen in verschiedenen Kinos der Region zu sehen sein wird, ist die Fortsetzung der vor drei Jahren gezeigten TV-Dokumentation „Liebe! Kinder! Hoffnung!“ Sigrid Faltin hat die Lörracher Familie weiter bis zum Tod von Kai und in die Zeit der Trauer hinein begleitet. Vier Jahre waren es am Ende. Es war auch eine therapeutische Hilfe, sagt die Filmemacherin.

Die bewegendsten Geschichten schreibt das Leben selbst. Diese hier ist naturgemäß besonders bewegend. Da stürzt sich eine in sich offenbar gefestigte junge Frau in das Wagnis, neben ihrem fünfjährigen Sohn vier Kinder im Alter von sechs bis elf großzuziehen. Im Hintergrund deutet der Film ein abgründiges Trennungsdrama an, man sieht Kais Ex-Frau Umzugskisten in einen Transporter stapeln und später noch einmal bei der Einschulung ihres Jüngsten am Zaun stehen. Was sich dort abgespielt hat, ist nicht Thema das Films. Durch die Erzählungen der Kinder reicht es aber in ihn hinein. Man hätte gern Näheres erfahren. Andererseits ist es womöglich auch gut, dass der Voyeurismus hier unbefriedigt bleibt.

Der Zuschauer hat genug damit zu tun, Anteil zu nehmen an Kais langsamem Sterben und Marions immer wieder hochschießender Verzweiflung darüber, dass sich ihr Mann – sie heiraten ein Jahr, nachdem sie sich kennengelernt haben, um den Kindern eine sichere Zukunft zu geben – durch seine Krankheit von der Familie entfernt; dass das Projekt Zukunft, vielleicht noch mit einem gemeinsamen Kind, so jäh abgebremst wurde.

Denn Illusionen macht sich in diesem Film niemand: Kai, damit rechnen alle, selbst die Kinder, wird diesen Krebs nicht besiegen, nur Zeit gewinnen können. Das ist vielleicht das Erstaunlichste: die Offenheit im Umgang mit der Endlichkeit des Lebens. Auf Wunsch von Kai wird ein Totempfahl in seinen geliebten Garten gestellt und gemeinsam bemalt. Der Adler oben ist Kai, der auch künftig über seine Lieben wachen wird. Auch das Hadern mit der Krankheit wird nicht verschwiegen. Kein Sex mehr. Keine Zeugungsmöglichkeit. Kais Rückzugsbedürfnis. Marions Überforderung damit, die große Familie am Laufen zu halten.

Sie schafft es. Diese Frau hat eine Kraft, die einem manchmal unheimlich vorkommt. Sie hält die Familie zusammen. Sie macht sich dabei nichts vor: Die großartigen Kinder, die Faltin mit viel Fingerspitzengefühl und Behutsamkeit zu Wort kommen lässt, sind nicht ihre eigenen. Werden es nie sein. Und dann geschieht am Ende noch etwas Unerwartetes: Marion verliebt sich in einen Freund der Familie. Kai, da ist sie sicher, hätte das gut gefunden. Und Kais Kinder? Man denkt: Das können sie nicht akzeptieren. Nicht so schnell nach dem Tod des Vaters.

Und doch geschieht es. Weil es Marion dann besser geht, sagt Amon, der Jüngste. Das Leben geht weiter. Sie alle haben die Zukunft noch vor sich. Und sie haben diesen außergewöhnlichen Film, der sie immer an ihren bewundernswert tapferen Vater erinnern wird.

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